Wie divers sollte ein Startup sein? Muss man gendern und kann man das Ganze auch overengineeren?

Gendern, Inklusion, Diversität: Themen, die teilweise unglaublich polarisieren und Beteiligten schnell das Gefühl geben, es nur falsch machen zu können. Ist es nicht divers genug? Wird zu wenig gegendert oder ist doch ein *innen zu viel? Wir fangen an, anders zu denken und zu reden. Vor allem in der Arbeitswelt tut sich viel – aber was bedeutet Vielfalt eigentlich und wie divers sollte ein Startup sein?

Kommen wir gleich zum wohl kontroversesten Punkt, wenn es in Deutschland um Sachen Inklusion geht: Das Gendern. Die einen übergendern sämtliche Begriffe, die anderen verweigern sich dem Sprachwandel von Grund auf. Da stellt sich ja erstmal die Frage: Warum das Ganze eigentlich? Am besten lässt sich das wohl mit einem Beispiel erklären. Stell dir vor du erzählst einem Kind eine Geschichte: Es geht um Schreinermeister, Piloten, Krankenschwestern und Erzieherinnen. Unterbewusst denkt das Kind bei Erzieherinnen an Frauen und bei Handwerkern an Männer. Das beeinflusst das ganze Weltbild des Kindes. Es verankert sich der Glaube daran, dass ein Mädchen eben keine Pilotin und ein Junge kein Erzieher sein kann. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, trotzdem wird deutlich: Die ganzen Sternchen, Doppelpunkte und geschlechtslosen Begriffe sind nicht „das Ding“, das wir unerlässlich brauchen, sie sind nur das Instrument, mit dem unsere Denkmuster gelockert werden sollen, das uns ermöglicht die Welt mit offeneren Augen zu sehen. (*1)  

„Jede Person hat die persönliche Freiheit zu kommunizieren, wie sie möchte. Allerdings sollte man sich trotzdem vor Augen führen, dass die Menschen in den 70ern anders gesprochen haben als heute und wir morgen wieder anders sprechen werden. Ein Sprachwandel ist der normale Lauf der Dinge.“

Prof. Dr. Annika Schach im Startup Communication Podcast zu Diversity und Gendern

Mehr Diversity in meinem Startup?

Im Vergleich zu anderen Organisationen sind Startups schon sehr weit in Sachen Diversity. Die Herangehensweisen an verschiedene Themen sind meistens offener und die Denkweisen aufgeschlossen. Gründende aus Generation Z oder Gen Y binden Diversity oft verstärkt in ihre Unternehmenskultur ein. Sie sehen gemischte Teams als „normal“ an. Und diese bringen auch einen wahnsinnigen Vorteil: Die Innovationskraft in solchen Teams ist höher als in Generischen – das ist wissenschaftlich schon oft bewiesen worden. (*2;3) Aber was heißt eigentlich gemischt?

Beim Gedanken an diverse Teams werden die meisten wohl erstmal an einen ausgewogenen Frauen- und Männer-Anteil und eine multinationale Mischung aus Menschen verschiedener Kulturen denken. Das ist Diversität. Und genau so wird sie in vielen Startups auch schon umgesetzt. Aber es gibt noch andere Dimensionen, die das Thema umfasst und bei denen auch bei Startups Nachholbedarf besteht. Zum Beispiel beim Alter. So lag beispielsweise das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden in den Jungunternehmen 2018 bei 30 Jahren. (*4) Eine weitere Ebene ist zum Beispiel der Bildungsstand. Auch hierbei handelt es sich um Diversität. Haben alle Mitarbeitenden des Unternehmens mindestens einen Bachelor ist es wenig bildungsdivers. Diese Art von Inklusion kann tatsächlich genauso ein Innovationstreiber sein, denn jeder Mensch denkt anders – so simpel das jetzt klingt. Diversität heißt, weiterdenken und das nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite.

In der Charta der Vielfalt finden sich sieben verschiedene Vielfaltsdimensionen. Wer also eine diverse Unternehmenskultur anstrebt, findet hier einen Leitfaden.

Wie komme ich zu diversen Mitarbeitenden?

Im Idealfall fühlen sich in einer Stelleausschreibung alle potenziellen Bewerbenden angesprochen, lediglich ein „d“ oder ein „x“ an die Stellenbezeichnung anzufügen reicht hier jedoch nicht. Ausschreibungen werden mit der Erwartung an Vielfalt von Bewerbern deutlich komplexer. So fühlen sich Frauen zum Beispiel deutlich weniger angesprochen, wenn sich ihre Fachkompetenz nur mit 80% von dem deckt, das in der Anzeige zu finden ist. Die meisten bewerben sich erst gar nicht, wohingegen Männer es oft einfach mal versuchen. (*5) Gendern spielt hier natürlich auch wieder eine Rolle, damit sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. Außerdem sollte ein Startup, das Diversität lebt, diese auch nach außen hin zeigen, aber eben nur, wenn es das auch wirklich tut. Im Worst Case trendet sonst der Hashtag Rainbowwashing mit eurem Startup – praktisch das Greenwashing der Diversität. Wer sich bei jeder Formulierung Gedanken macht und auch wirklich jeden Punkt so formuliert, dass sich möglichst viele Gruppen angesprochen fühlen, der oder die hat wohl alles HR-Menschenmögliche für Diversität getan.

„Ich kann doch nicht alles und jeden inkludieren.“

Absolut richtig. Es ist schlichtweg unmöglich, ein perfekt diverses Unternehmen zu führen. Das Thema ist auch tatsächlich nicht, dass jede Gesellschafts- und Kulturgruppe in einem Unternehmen vorhanden sein muss, es geht viel eher darum, dass für alle ähnliche Möglichkeiten und Chancen bestehen, dort arbeiten zu können. Das zu erreichen, gestaltet sich intern nicht ganz so easy und ist in der Kommunikation ein Kunststück, aber wer die richtigen Maßnahmen ergreift, rückt immer näher an dieses Bild.

To come to an end

Also wie divers soll mein Startup jetzt sein? Es gibt keinen fixen und wirklich aussagekräftigen Richtwert, ab wann ein Unternehmen divers ist. Also gibt es auf diese Frage natürlich keine perfekte Antwort. Trotzdem gibt es eigene Dinge, die Gründende tun können. Zum Beispiel erstmal ganz pragmatisch analysieren, wie es denn grade mit der Diversität aussieht:

  • Welches Frauen/Männer-Verhältnis gibt es und habe ich Mitarbeitende aus dem dritten Geschlecht?
  • Wie alt sind wir im Durchschnitt und haben wir auch Mitarbeitende aus den verschiedenen Altersgruppen
  • Wie bildungsdivers sind wir? Haben alle einen Master oder gibt es auch Personen, die nicht studiert haben?

Kann man sich diese Fragen beantworten, sollte man selbst in der Lage sein festzustellen, ob das Unternehmen schon divers ist oder doch noch ein bisschen generisch. Am Ende sollte jeder selbst entscheiden, welche Mitarbeitenden eingestellt werden. Man sollte sich jedoch bewusst machen, dass Inklusion ein immer wichtigerer Bestandteil unserer Gesellschaft und vor allem der Unternehmenswelt wird und bewiesenermaßen die Produktivität von Unternehmen steigert. (*2;3)

Wenn du noch mehr über Diversity, die perfekte Genderstrategie und Inklusion in Startups wissen willst, hör dir unseren Podcast zum Thema an.

Disclaimer

Dieser Blogbeitrag basiert zu großen Teilen auf Fachwissen von Experten zum Thema Diversität, Inklusion, Gendern, Kommunikation & Personalwesen. Die im Startup Communication Podcast Folge 23: „Gendern und Diversity im eigenen Unternehemen“ mit Prof. Dr. Annika Schach gewonnen Informationen, sowie Expertenwissen aus der Startup Communication Podcast Folge zu „Female Leadership“ und wissenschaftliche Erkenntnisse flossen in die Ausformulierung dieses Beitrags mit ein. Konkret wurden folgende Quellen als Basis und Beleg herangezogen:

 

*1 Startup Communication Podcast Folge 23: „Gendern und Diversity im eigenen Unternehemen“ mit Prof. Dr. Annika Schach vom 2.2.2022

*2 Van Knippenberg, D., De Dreu, C. K. W., & Homan, A. C. (2004). Work group diversity and group performance: An integrative model and research agenda. Journal of Applied Psychology. Athens.

*3 Parrotta, P., D. Pozzoli & M. Pytlikov (2012). Does Labour Diversity Affect firm productivity?. ssrn electronic journal. Rochester.

*4 https://cdn.personalmarkt.de/cms/Startup-studie-2018.pdf

*5 Startup Communication Podcast Folge 18: “Female Leadership” mit Bettina Engert und Sophia Röpke vom 20.4.2021